Tuamotos – Raroia – Von welcher Insel kommst Du? – 10.7. bis 16.7.2015

Die Winde wehen hier in diesem Bereich des Suedpazifiks meistens aus Ost oder Nord-Ost. Fuer uns guenstig, um die moeglichst am weitestens sued-oestlich gelegene Insel der Tuamotos zu erreichen. Als die Insel Ua-Pou langsam aus unserem Sichtfeld verschwindet, haben wir noch kein festes Ziel, nehmen aber erst einmal Kurs auf Raroia. Zu diesen Zeitpunkt ahnen wir noch nicht, dass der Wind es gar nicht gut mit uns meint. Im Gegensatz zu den ueblichen guenstigen Windrichtungen weht er jetzt immer mehr aus Sued-Ost. Auch als die Windableitung durch die Insel Ua-Pou nicht mehr dafuer verantwortlich sein kann. PACIFICO segelt hoch am Wind, der immer mehr auf sued dreht, staerker wird und es uns schwer macht, unseren vorlaeufigen Kurs zu halten. Zeitweise befuerchten wir schon, die Tuamotos noerdlich zu passieren und womoeglich 2.500 Meilen westwaerts auf Tuvalu oder sogar Kiribati zu landen 😉

Was ein entspannter 3 – 4 taegiger Segeltourn werden sollte, wird eine ziemlich anstrengende Sache. Der Bug taucht so haeufig in Wasser, dass das Deck inzwischen wirklich sauber ist und die letzten Spuren der Marquesas ueber Bord gespuelt sind. Wir sind froh um jedes Grad, mit dem wir unseren Kurs halten koennen, machen tagsueber maximale „schuettelige“ und anstrengende Hoehe, um nachts mehr abzufallen und dadurch bei ruhigerer Fahrt ein wenig schlafen zu koennen. Sogar die Einstiegsluke wird nachts, trotz der warmen Temperaturen, geschlossen wegen dem ueberkommenden Wasser und dem Regen, den die windgetriebenen schweren Wolken mit sich bringen. Nur die zusaetzlich durch ein Regen-Segel geschuetzte Luke der Heckkabine bleibt nachts offen, um etwas frische Luft unter Deck zu bringen. In den noch dunklen fruehen Morgenstunden des dritten Tages lassen Regenboeen den Wind weiter auffrischen und wuehlen das Meer auf. Eine Welle trifft PACIFICO so unguenstig, dass die Lady sich stark zur Seite neigt und uns mal wieder durchs Bett schiessen laesst. Auch unsere Bananen, die wir einigermassen rutsch-sicher auf dem Sonnendeck gelagert haben, sind mit dieser heftigen Bootsbewegung offentsichtlich ins Meer geschossen, denn sie sind am naechsten Morgen, samt dem neuen Gaffhaken, der ebenfalls dort lag, verschwunden. Kaum drei Stunden spaeter, es ist schon hell, erwischt uns eine weitere Welle von der Seite und spuelt ueber Backbord das ganze Deck bis achtern, landet mit einem restlichen Schwall durch die Heckluke in unserem Bett! Danach sind wir wach 🙂

Der Wind dreht an diesem dritten Tag endlich wieder mehr Richtung Ost. Wir koennen nun verlorene Grade in Richtung Sueden segeln und erreichen in der Morgendaemmerung des naechsten Tages die Tuamoto-Insel Raroia.

Die Tuamotus sind Atolle, Vulkankrater gefuellt mit Meerwasser, teilweise mit bis zu 30 Meilen Durchmesser, umgeben von Riffen, Sandstraenden und Palmen. Die Inseln sind sichtbar nur so hoch, wie die  Palmen, die auf Ihnen gewachsen sind. Dadurch ist ein Atoll in der Regel fruehestens 10 Meilen vor Erreichen der Insel zu sehen. Den inneren, meeresschwell- aber nicht windgeschuetzten, Bereich erreicht man ueber sogenannte Passagen. Hier fliessen die Gezeiten mit enormer Kraft durch, abhaenigig von Breite, Tiefe und der jeweiligen Anzahl der Passagen. Auch wenn der Tidenunterschied manchmal nur 30 bis 40 cm ausmacht, ist es durch die grosse Wasserflaeche innerhalb des Atolls eine gewaltige Wassermasse, die nur durch ein „Nadeloehr“ ein- und ausfliesst. Dazu schwappt der Pacific mit der staendigen Brandung an den Riffen immer wieder Meerwasser in die Lagunen, dass zusaetzlich den Gezeitenstrom beeinflusst.

Die Tide fliesst durch die Schiffspassage von Raroia mit einer Geschwindigkeit von ueber 8 Knoten bei ablaufend Wasser und ueber 5 Knoten, wenn es flutet. Wir koennen also nur zwischen den Gezeiten oder zumindest fast Stillstand der Gezeit einlaufen. Da Raroia ueber keine eigene Gezeitenstation verfuegt, errechnen wir aus den in unserer Karte angebenen Gezeiten der anderen Inseln und aus der Uhrzeit von Mondauf und -untergang, wann das ungefaehr sein wird. Alternativ hoffen wir auch darauf, einen ortskundigen Insulaner ueber Funk zu erreichen, der uns entsprechende Auskunft geben kann.

Wir haben in der Nacht die Insel mit einem gebuehrenden Abstand angesegelt, da auch Verschiebungen der Karten von ueber einer Meile moeglich sind und wir uns nicht nur auf unser Radar verlassen wollen. So sehen wir in der Morgendaemmerung die ersten Palmen der Insel und auch einen Frachter, der auf die Passage zu laeuft. Es ist das Versorgungsschiff Kura Ora aus Papeete. Aus der Ferne sieht es aus, als wenn er vor der Passage vor Anker geht und wir nehmen an, dass er auch auf den naechsten Stillstand der Tide wartet. Wir sehen den Frachter manoevrieren und in die Passage einfahren, wo er dann offenbar wieder vor Anker geht, wie er auf unsere Nachfrage auch bestaetigt. Laut seiner Auskunft soll der naechste Stillstand wohl so gegen 12.00 h sein, was mit keiner unserer Berechnungen uebereinstimmt.

Inzwischen haben wir festgestellt, dass wir nicht nur Wasser im Bett haben, sondern auch uebermaessig Wasser in der Bilge. Allerdings Suesswasser. Also gehen wir, da wir sowieso noch warten muessen, vor Anker und auf die Suche nach dem Leck in unseren Wasserleitungen. Waehrend wir schnell herausfinden, dass wir kein Leck haben, sondern im vorderen Bad, dass wir als Stauraum benutzen, „nur“ gegen den Wasserhahn gekommen sind, ist der Frachter wieder in Fahrt gekommen. In Fahrt??? Mit guter Geschwindigkeit faehrt er rueckwaerts aus der Passage. Voellig fassungslos sehen wir zu, wie die Kura Ora vom dem im wahrsten Sinne reissenden Fluss der Stroemung wieder aus der Passage heraus gezogen wird! Ist sein Anker gerissen? Der Frachter steht ein paar Minuten in dem strudelnden Wasser mit den fast Meterhohen Wellen, dann dreht er bei und faehrt weg. Spaeter erfahren wir von seiner Crew, dass das bereits der zweite Versuch war, Raroia anzulaufen seit gestern Abend. Wir wundern uns – der kommt doch alle zwei Wochen und sollte sich hier doch wohl auskennen ….

Wir warten am Vormittag ab, dass die Stroemung der Tide zum Stillstandstand kommt. Das ist gut zu erkennen an dem zunaechst heftig strudelnden Wasser, dass sich dann langsam glaettet. Derweil legen wir unser „Lager“ trocken und ermitteln den entstandenen Schaden der Ueberschwemmung. Ein paar Tueten Zucker und Tallarine sind teilweise feucht geworden und natuerlich das WC-Papier und Kuechenrollen. Der Schaden haelt sich also in Grenzen und es sieht schon lustig aus, wie ueberall an Deck die vielen Papierrollen zwischen Bettzeug und Polstern zum Trocknen ausgelegt und aufgehaengt sind, die ebenfalls ja noch feucht sind. Es braucht nur ein paar Stunden in Wind und Sonne und zumindest unser Bett ist wieder angenehm trocken 🙂

Gegen 10.45 h beschliessen wir, die Fahrt durch die Passage zu versuchen. Das Wasser laeuft immer noch ab, aber nicht mehr so schnell. Wir haben nur bis zu 2 Knoten Gegenstroemung in der Passage und kommen problemlos durch. Bis zum Inseldorf sind es dann nicht einmal zwei Meilen und wir gehen zunaechst in der Naehe vom Pier vor Anker. Der Frachter trifft dann gut 3 Stunden nach uns ein und macht am Pier fest. Bei unserem Landgang am Nachmittag, erkundigen wir uns bei den mit dem Be- und Entladen beschaeftigten Menschen, ob wir nachts vielleicht auch am Pier festmachen duerfen, weil es dort windgeschuetzter ist. Duerfen wir. Ausnahmsweise. Und so werden wir in dieser Nacht mit PACIFICO, wie in einer Marina liegen, das Wasser so ruhig, wie in einem Swimmingpool, waehrend es doch auf der anderen Seite des Piers sehr windgetrieben und schaukelig ist.

Die Menschen, denen wir bei unserem Landgang begegnen, sind alle sehr offen, freundlich und hilfsbereit. Mehr noch, als wir es bisher auf unserer Reise erlebt haben. Die Kinder kommen auf uns zu und fragen nach unserem Namen und stellen sich dann selbst vor. Ein kleines Maedchen fragt dann: „Von welcher Insel kommst Du?“ „Wir kommen aus Deutschland.“ „Wo liegt denn die Insel Deutschland?“ „Deutschland ist keine Insel und liegt neben Frankreich.“ „Frankreich, ja. Aha!“ Frankreich kennt die Kleine natuerlich, wir sind ja in franzoesisch Polynesien. Aber ob sie wirklich eine Vorstellung hat, wo auf dem Erdball dieses Land liegt und das auch Frankreich keine Insel ist? 🙂

Wir leisten uns in dem oertlichen Geschaeft ein paar Dosen Bier. Teure Biere. Und mit dem Versorgungsschiff angekommene 7 grosse Moehren, 4 Apfelsinen und ein dutzend Eier fuer 25 Euro (ohne Bier). Das wird eine sehr exklusive Moehrensuppe 😉 Bedenkt man, dass die Inselbewohner kein sehr hohes Einkommen haben werden, fragt man sich, wie sie sich so einen Luxus leisten koennen. Die Menschen hier leben in der Hauptsache von der Zuechtung von Perlen, Kopra und Fischfang. Da die Perlen in den letzten Jahren wegen der Ueberproduktion geringere Preise am Markt erzielen, sind damit sicherlich auch keine Reichtuemer zu verdienen.

Strom und Wasser sind hier knapp. Die Haeuser haben alle ihre eigenen Solaranlagen fuer den Strom und grosse Zisternen, die das von den Daechern aufgefangene Regenwasser aufnehmen. Wer dann fuer beispielweise Arbeitsmaschinen mehr Strom benoetigt, hat einen eigenen Generator. Alles ist relativ neu einschliesslich der Haeuser, denn vor ca. 8 Jahren hat ein Taifun die Insel voellig verwuestet. Die Menschen wurden damals evakuiert. Nicht alle sind danach zurueck gekommen. Dafuer sind andere gekommen, junge Menschen. Und eben solche, wie der Inhaber des Ladens aus Neukaledonien mit seiner polynesischen Frau.

Die Nacht wird so ruhig, wie erwartet, und ist pure Erholung nach den anstrengenden letzten Tagen. Wir baden im Hafenbecken, denn das Wasser ist sauber und klar. Als wir von naechsten Mittag ein paar kleine Fischreste ueber Bord werfen, sehen wir, wie die kleinen Fische sich gleich darum reissen. Wir haben auch noch etwas rohen Fisch von einem Bonito im Kuehlschrank, den wir dann ebenfalls verfuettern. Das lockt auch groessere Fische an. Ein Hai, im klaren Wassser gut erkennbar, schwimmt durch die schmale Einfahrt ins Hafenbecken. Nach gewisser Zeit folgen ihm noch zwei weitere. Gemeinsam mit den anderen Fischen und einer hungrigen Moewe versuchen sie immer wieder, die von uns ins Wasser geworfenen Fischstuecke zu erbeuten. Bis nichts mehr da ist und sich dann alle wieder verziehen. Es war ein schon toller und besonderer Spass, sie zu fuettern und zu beobachten.

Tuamotos – man koennte denken, dass hier die Farbe „tuerkis“ erfunden wurde. Vom tiefen blau wechselt hier das Pacificwasser in immer heller werdende Tuerkistoene. Mit dem blauen Himmel, den weissen Korallensandstraenden, den hohen Palmen mit ihren sich im Wind wiegenden leuchtend gruenen Wedeln, ist es ein Anblick, bei dem es einem ganz leicht ums Herz wird. Ein Anblick, der einem ein Gefuehl von Leichtigkeit und Unbeschwertheit gibt, ein ganz neues Gefuehl der Freiheit, dass uns hier ueberkommt. Mit jedem Atemzug und jedem Blick. Keine geschoenten Bilder eines Reiseprospektes, sondern Wirklichkeit. Auf den Marquesas erfuhren wir ein erstes „Suedseefeeling“. Es war warm, das Wasser war wunderbar, wie auch die Palmenstraende. Das sich diese Gefuehle noch steigern lassen, erleben wir hier auf Raroia. Einfach unglaublich anruehrend und erlebbar schoen. Darum sind die Menschen hier wohl so unbeschwert und herzlich offen.

Der Ladeninhaber hat uns fuer den naechsten Nachmittag bei der Perlenfarm auf der anderen Seite der Insel angemeldet. Nach zwei sehr ruhigen Naechten am Pier fahren wir bereits nach dem Fruehstueck los, da wir uns auch noch den Motu ansehen wollen, auf dem Thor Heyerdahl im August 1947 mit seiner Kontiki gelandet ist. Ein Segler hat auf dem Teil der Insel 2006 eine Gedenktafel aufgestellt. Auf der Fahrt durch die Lagune sehen wir auch zum ersten Mal bewusst die sogenannten „Brownies“. Das sind pilzfoermige Korallenkoepfe mit mehreren Metern Durchmesser, die selbst im 50 Meter tiefen Lagunenwasser bis kurz unter die sich im Sonnenlicht spiegelnde Wasseroberflaeche reichen. Auf der Fahrt steht die Sonne seitwaerts oder auch hinter uns, so dass wir sie vorher gut durch die helle tuerkise Faerbung der Wasseroberflaeche erkennen koennen. Eine Fahrt durch die Lagune bei Nacht waere fast unmoeglich und ist hochgradig risikoreich. Wie risikoreich es ist bekommt PACIFICO am naechsten Tag zu spueren, als wir von der Sonne geblendet einen kleinen unter der spiegelnden Wasseroberflaeche liegenden Koralenstock uebersehen. Gott sei Dank lag der so tief, dass PACIFICO nur mit einer etwas groesseren Schramme am Kiel davon kommt und damit ohne wirklichen Schaden.

An der Austernfarm werden wir bereits erwartet. Der Geschaeftsfuehrer fuehrt uns herum, erklaert uns die Arbeit der derzeit 16 Mitarbeiter. Bis zu drei Mal kann man eine Perle zum wachsen in eine Auster pflanzen, bevor die Auster zu gross und zu alt dafuer wird. Wie das gemacht wird, zeigt und eine junge Chinesin. Mit einem Skalpell macht sie einen kleinen Schnitt in die mit einem Keil geoeffnete Auster, setzt die runde Roh-Perle und etwas Farbstoff ein. Der Farbstoff ist etwas, dass aus den Austern hergestellt wurde. Anschliessend wird der Keil entfernt, die Auster an einem Band befestigt und wieder ins Wasser gehaengt. Es dauert etwa 9 Monate, bis die Perle ihre Tahiti-dunkle Perlmutschicht bekommen hat. Wir erfahren was die Qualitaet einer Perle ausmacht, wie Farbe, Form, Groesse, Glanz und Staerke der Perlmutschicht, die hier mit 0,8 mm ueber dem Standard von 0,5 mm liegt. In guten Jahren erntet man auf der Farm bis zu 200.000 Perlen, von denen aber nur sehr wenige, max. 5%, perfect oder zumindest nahezu perfekt geworden sind und Hoechstpreise erzielen. Die Produktion haengt, wie auch aehnlich in der Landwirtschaft, von vielen Faktoren ab. Nicht aus jeder einpflanzten Perle wird dann auch eine Tahiti-Perle. Die Austern koennnen traege sein oder sogar krank werden. Es ist schwierig, die Nachwuchsaustern zu finden und zu fischen. Fachkraefte fuer das Einsetzen der Perle fehlen vor Ort und kommen deshalb aus China fuer einen Zeitraum von jeweils maximal 8 Monaten. Die Formalitaeten zur Einreise und Arbeitserlaubnis erschweren die Einstellung von Fachkraeften aus dem Ausland und vor Ort gibt es zu wenige. Auf der Farm sind zur Zeit drei Chinesinnen und Chinesen beschaeftigt. Benoetigt werden mindestens fuenf.

Leider koennen wir uns keine fertigen Perlen ansehen oder sogar kaufen, da im Januar die gesamte Produktion nach Papeete geschifft wurde.

Es ist spaet geworden, als wir uns verabschieden und fuer die Fuehrung bedanken. Kurz vor Sonnenuntergang suchen wir uns in der Naehe der Farm einen Ankerplatz fuer die Nacht. Am naechsten Tag verlassen wir mit der mittags einsetzenden Flut Raroia um ueber Nacht nach Makemo zu segeln.

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